Einführung in die Übungsmethode von Master Huang

Weit mehr als auf das Erlernen von verschiedenen Formen, Stellungen oder Bewegungen wird im Übungssystem nach Master Huang auf das Erkennen und Erlernen der sogenannten "inneren" Bewegungen Wert gelegt. Wichtig ist nicht allein, einen äußeren Bewegungsablauf korrekt zu wiederholen, sondern die feinen Bewegungen im Körper wahrzunehmen, die letztendlich der äußeren Bewegung zugrunde liegen. Voraussetzung für dieses Körperverständnis sind eine tiefgehende Entspannung sowie eine richtige Abfolge der Körperbewegungen, die immer von der Körperbasis, also den Füßen, initiiert werden. Taiji in diesem Verständnis ist mehr eine geistige Übung, die Konzentration und Ausdauer erfordert. Hierdurch können alte Bewegungsmuster aufgelöst und eine entspannte,aufrechte Körperhaltung eingeübt werden, die nach entsprechender Übungspraxis eine natürliche Angewohnheit wird.

Das System von Master Huang enthält folgende Übungseinheiten:

Die fünf Entspannungsübungen:

Diese wurden speziell von Master Huang entwickelt. Hierbei werden im Stehen fast sämtliche inneren und äußeren Bewegungsabläufe der Taiji-Form, wie Drehungen, Entspannen, Loslassen, geübt. Die Gelenke werden gelockert und geäffnet. Die Bewegungen schaffen ein Grundverständnis für die Körper und den inneren Abläufe, die dann in die Taiji-Form übertragen werden können.

Die Taiji-Form:

Die Kurzform von Cheng Man Ch'ing wurde von Master Huang entsprechend den Inhalten seines Übungssystems angepasst. Großer Wert wird auf das Erkennen der inneren Abläufe während des Übens gelegt. Auch in den Übergängen zwischen den einzelnen Stellungen sollen die Taiji-Prinzipien wie, Entspannen, Sinken, die Initiierung der Bewegung von der Basis her, etc., korrekt ausgeführt werden.

Partnerübungen mit festen Bewegungsabläufen ('Fixed Push Hands'):

Die in der Form erlernten Bewegungsabläufe sollen innerhalb von Partnerübungen vertieft und gefestigt werden. Die Push Hands stellen eine Art Kommunikation von zwei Personen dar, die innerhalb von festen Bewegungsabläufen ihr eigenes Körperverständnis sowie die Bewegungsmuster des Partners erspüren sollen. Hierbei ist es wichtig, die in den Entspannungsübungen und in der Form geübten Taiji-Prinzipien in Kontakt mit anderen Personen weiterhin richtig auszuführen. Richtiges Üben erweitert das eigene Körperverständnis sowie das Gespür für Bewegungen anderer Personen.

Letztes Ergebnis des Taiji-Übens soll eine Übernahme der Taiji-Prinzipien in das alltägliche Leben werden. Alte angespannte Bewegungsmuster sollen durch natürliche, entspannte Körper- und Geisteshaltungen ersetzt werden. Hierfür ist aber ein langer Übungsweg vonnöten, da die alten Muster lange Jahre antrainiert wurden und meist sehr fest sitzen.


Master Huang hat 20 Punkte für das richtige Taiji-Üben benannt:

Klick hier für einen Gedanken zur richtigen Ausübung der Form


Wichtige Punkte für einen Fortschritt im Taijiquan

(von Wee Kee-Jin, deutsche Übersetzung Rudolf Necker)

Zu Beginn des Taiji-Lernens sind uns allen nur eine mehr oder weniger schlechte Haltung und linkische Bewegungen zu eigen. Große, weite Bewegungen sollen hier die blockierten Gelenke öffnen und angesammelte Spannungen lösen. Eine besondere Aufmerksamkeit auf die Körperaufrichtung sowie eine Achtsamkeit auf die Füße schaffen eine größere Stabilität. Anfänglich bewegt sich der Kärper als ein Block, jedoch mit zunehmendem Loslassen der Muskeln und Gelenke ergeben sich Bewegungssequenzen wie die Folgende: Eine Drehung beginnt an den Hüften, welche den Rumpf bewegen. Die Arme folgen wiederum dem Rumpf. Das Heben der Arme erfolgt somit anstatt einer mechanischen Aktion aus einer Kraft der Körperbasis, welche dank der Entspannung des Rumpfes, der Schultern und der Ellbogen wirken kann. Nach einer gewissen Übungspraxis werden alle Bewegungen des Oberkörpers von der Basis initiiert.

Schon zu Beginn des Übens ist auf das Vorhandensein einer Struktur zu achten. Unter Struktur versteht man die Genauigkeit und Aufrichtung sowohl in den einzelnen Stellungen als auch später innerhalb der Übergänge zwischen den einzelnen Figuren. Ein solches Üben schafft die Wege im Körper,durch welche die Energie fließen kann. Ähnlich einem Wasserschlauch, in dem der Wasserfluss durch Schleifen oder Druckstellen beeinträchtigt sein kann, begrenzen blockierte Gelenke und angespannte Muskeln den Energiefluss im Körper.

Unter Genauigkeit im Üben versteht man nicht nur die genaue Ausführung der einzelnen Details der Stellungen (das 'Wo') oder die exakte Bewegungsabfolge (das 'Wann'), sondern vor allem das Verständnis für den Prozess, wie man sich bewegt. Ungenauigkeiten im Üben können bei den Partnerübungen (Push Hands) ersichtlich werden, das Einüben dieser Ungenauigkeiten erfolgt jedoch im Training der Taiji-Form.

Aufrichtung bezieht sich auf den Zustand des zentralen Gleichgewichts im Körper, welcher sowohl die Vertikale als auch die Horizontale umschließt. Der Körper soll aufrecht und zugleich zentriert ausgerichtet sein. In Bewegungen ändern sich sowohl die linke als auch die rechte Körperseite gleichmäßig. Beide Knie, Hüften und Schultern sollten im gleichen Verhältnis gesenkt werden, nicht eine Seite schneller als die andere.

Innere (geistige) Mechanismen

Alle internen Mechanismen im Taiji müssen mittels des Geistes (Yi) ausgebildet werden, welcher aus zwei Teilen besteht: Intention (Absicht) und Bewusstsein (Aufmerksamkeit).

Wenn man die Absicht hat, sich zu bewegen, fasst man als erstes den Gedanken, dann handelt der Körper. Um die Prozesse und Änderungen während der Bewegung zu erfassen, muss man sich dieser bewusst sein und diese aufmerksam verfolgen. In jeder Bewegung schließt das Bewusstsein unmittelbar an die Bewegungs-intention.

Denken bedeutet nur Planen. Es ist das Bewusstsein von der Bewegung, welches die Entspannung, das Sinken und die aufsteigenden Kräfte ausbildet. Mache Dir ein Bild von ihnen und bewege Dein Bewusstsein, um diese zu erfahren. Anfänglich fehlen noch klare körperliche Erfahrungen, nach einer längeren Übungszeit werden die visualisierten Bilder zur Realität. Das Yi (Geist) lenkt das Qi (Energie). Wo immer das Bewusstsein verweilt, die Körperenergie befindet sich gleichfalls dort. Seine Aufmerksamkeit auf das Qi zu konzentrieren, kann diese blockieren und zum Stocken bringen. Der Fluss des Qi ist ein Ergebnis Deines gelenkten Bewusstseins.

Ein weiterer wichtiger Begriff im Taiji ist das Sinken (Chern). Sinken ist ein kontinuierlicher Fluss an Gefühlen (Bewusstseins-Empfindungen)vom Scheitel runter zu den Füßen. Beim ersten Üben ist es hilfreich, sich eine Tasse mit warmen Wasser vorzustellen, die über dem Kopf ausgegossen wird. Der Fluss des Wassers über den Körper zu den Füßen soll ein schmelzendes Gefühl im Körper erzeugen, welches durch die Füße in den Untergrund sich fortsetzt. Dieses geistige Entspannen, Loslassen der Muskeln (Schmelzen) wird als Sinken bezeichnet.

Im anfänglichen Trainingsstadium übt man das Sinken in der Form, wenn man bereits in einzelnen Stellungen (Figuren) steht. Hier soll man das schmelzende Gefühl vom Kopf bis zu den Füßen visualisieren, bevor man zur nächsten Stellung wechselt. Im fortgeschritteneren Übungsstadium übt man das Sinken auch in den Übergängen zwischen den einzelnen Stellungen.

Das Ergebnis von Entspannen und Sinken ist eine spürbare Erhöhung des Druckes in den Füßen. Dieser Umstand wird Gründen oder Wurzeln genannt. (Gemüts-)Ruhe erzeugt Entspannung, Entspannung erlaubt das Sinken, Sinken bedeutet Gründen mit den Füßen, Gründen erzeugt eine entspannte Kraft (Jing). Das Jing entsteht als Folge des Sinkens und kontinuierliches Sinken bedeutet das Vorhandensein einer kontinuierlichen entspannten Kraft im Körper.


Taiji ist ein Prozess, nicht ein Ergebnis. Spezielle Übungen und Formen sind Methoden, die oben genannten Prinzipien in den Bewegungen zu entdecken. Fortschritte entstehen durch eine Verfeinerung unserer Bewegungen und durch eine Vertiefung unseres Verständnisses der Prinzipien. Dies ist ein fortwährender, kontinuierlicher Prozess. Letztlich wird die Form formlos, und jede Aktion oder Nicht-Aktion ist in Harmonie - dies ist Taijiquan.

 

 

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